Schröter, Susanne: Allahs Karawane. Eine Reise durch das islamische Multiversum, C.H. Beck, München, 2021, ISBN 978-3-406774-92-8, 203 S.
Gemeinschaften und Gruppen in der Türkei, Staaten auf dem Balkan, im Senegal, Sudan, Oman, Pakistan, den USA, Malaysia, Indonesien, China und Deutschland werden in Susanne Schröters Buch näher vorgestellt. Lesenden stellt sich nun vielleicht die Frage: in welchem Zusammenhang? Was verbindet die Länder dieser Auswahl? Die Antwort darauf bildet das Kernargument des Buchs: diese Beispiele stellen allesamt interessante Spielarten des Islams dar. Als gesellschaftliche Mehrheit oder Minderheit, mit langer Tradition oder vergleichsweise junger Geschichte, eigener orthodoxer Auslegung oder wechselseitiger Beziehung zu anderen Religionen und Traditionen. Der Islam ist eine Religion die, wie andere auch, ganz selbstverständlich verschiedenste Facetten und Spielarten aufweist. Von einem homogenen Glauben auszugehen oder von Gläubigen, die weltweit ihre Religion identisch auslegen und praktizieren ist und war stets reduktionistisch. Oder folgte einer eigenen Agenda.
Vielfach wird dennoch von dem Islam gesprochen oder geschrieben. Eines der Hindernisse für eine differenzierte Darstellung und Auseinandersetzung ist hingegen, dass viele angemahnte Unterscheidungen, Untergruppen und Formen des Islams recht abstrakt bleiben. Um diese Lücke zu schließen, sie mit Leben füllen, eignet sich das vorliegende Buch Allahs Karawane.
Susanne Schröter nimmt Leserinnen und Leser mit auf eine Reise durch verschiedenste islamisch geprägte Kontexte, Gruppen und Länder. Sie führt in die jeweiligen lokalen Brauchtümer und Traditionen ein und erklärt deren Genese und Hintergrund. Die Mischung der verschiedenen vorgestellten Gruppen ist auch deshalb sehr aussagekräftig, weil dabei nicht eine romantisierende Sicht auf innerislamische Minderheiten vorherrscht. Zwar rücken auch alte, seit langer Zeit existierende Gruppen in den Fokus mancher Kapitel. Andere Fallstudien des Buchs stellen hingegen neue, zeitgenössische Entwicklungen dar.
Der passend im Untertitel des Buchs gewählte Begriff Multiversum fasst diese Vielfalt treffend zusammen. Das Buch wäre jedoch nicht vollständig, wenn nicht auch auf eine Bedrohungslage für die beschriebenen Gruppen eingegangen würde, denn auch hier zieht sich – leider – ein gewisses Muster durch die Kapitel. Viele der Gemeinschaften sehen sich seit Jahren unter einem steigenden Druck durch verschiedene Akteure: Zum Teil sind es in den jeweiligen Staaten zentrale religiöse (und staatliche oder staatlich befähigte) Institutionen, die auf eine Homogenisierung hinarbeiten und die ihre ‘wahre’ Auslegung verbreiten. Hinzu kommt darüber hinaus oft die Einflussnahme von außen: durch die Ausbildung konservativer Geistlicher oder die Finanzierung religiöser Ausbildungs- und Gebetsstätten.
Susanne Schröter gelingt es allerdings, hier kein allzu düsteres Bild zu zeichnen. Im Gegenteil: Ohne die Gefahr zu verharmlosen oder den zum Teil bereits verursachten Schaden kleinzureden erzählt die Autorin ganz gezielt auch die Geschichten von Vorkämpferinnen und Vorkämpfern und deren Erfolgen darin, das Fortbestehen ihrer eigenen Gruppen zu sichern. Und somit auch den Erhalt des Multiversums.
Allahs Karawane. Eine Reise durch das islamische Multiversum ist eine sehr lesbare Annäherung an die Vielfalt dessen, was oft als ‘der Islam’ dargestellt wird. Durch einen sehr zugänglichen Schreibstil und viele kurze Erklärungen relevanter Begriffe ist das Buch auch für Interessierte ohne Vorwissen zu empfehlen – doch auch wer Vorwissen mitbringt lernt bei der Lektüre sicherlich Neues, Interessantes und Wissenswertes hinzu.
Rezension: Benedikt van den Woldenberg