Leadership Decapitation – Strategic Targeting of Terrorist Organizations

Jenna, Jordan: Leadership Decapitation. Strategic Targeting of Terrorist Organizations, Stanford University Press, Stanford, California 2019, ISBN 9781503608245, 260 S.

Der Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr und der NATO ist beendet. Er war nicht erfolgreich und die Diskussion um die Ursachen dafür beginnt. Doch zahlreiche Fehlentwicklungen wurden bereits vor Jahren von Expertinnen und Experten herausgearbeitet, jedoch wurden sie von der politischen Führung ignoriert. Dies betrifft insbesondere die leadership decapitation, die bei einigen NATO-Verteidigungsministern als die „silberne Kugel“ dafür galt, Al-Qaida, die Taliban und den sogenannten Islamischen Staat zu zerstören. Dahinter stand die Annahme, dass charismatische Führer von terroristischen Organisationen getötet werden müssten, um damit die gesamte Gruppierung besiegen zu können.

Jenna Jordan (Associate Professor at the Sam Nunn School of International Affairs at the Georgia Institute of Technology) hat die Wirksamkeit der leadership decapitation in ihrer Studie 2019 untersucht. Ihre Forschungsleitfragestellungen waren: „Does leadership decapitation work?“ (S. 6) und „Does decapitation result in organizational collapse?“ (S. 47). Gestützt auf ihre Datenbank über terroristische Gruppierungen weltweit im Zeitraum 1970-2016 analysierte sie an 1.276 Fallbeispielen von leadership decapitation deren Auswirkungen auf die bekämpften Gruppierungen. Dann folgten in drei Kapiteln die Beispiele: Hamas, Shining Path (Peru) und Al-Qaida/Islamischer Staat.

Jordan arbeitete heraus, dass die Resilienz der terroristischen Gruppierungen gegen das leadership targeting von drei Faktoren abhängt: 1. Der Ausbildung fester Führungsstrukturen (Bürokratisierung), 2. der lokalen Unterstützung durch die Bevölkerung und 3. der Ideologie. Als besonders resilient erwiesen sich islamistische terroristische Gruppierungen mit einer aktiven Mitgliederanzahl von 1.000 bis 5.000. Al-Qaida war im Zeitraum 1998 bis 2014 von 287 leadership targetings betroffen. In keinem Fall führte dies zum Zerfall der betroffenen Gruppierung, sondern löste im Gegenteil statistisch nachweisbare verstärkte Anschlagsaktivitäten aus.

Die Bürokratisierung, wie Jordan beschreibt, also der hohe Grad des Ausbaus der Struktur, bewahrte Al-Qaida vor den negativen Folgen der Angriffe auf die eigenen Führer, für die oft seit Jahren Stellvertreter ausgebildet und aufgebaut worden waren.

„The statistical findings presented in Chapter 4 support the argument that targeting the leadership of alQaeda and its affiliates is unlikely to be effective and may actually have counterproductive consequences. The data indicates that large, religious, Islamist, and sometimes older organizations are highly resistant to leadership targeting.“ (S. 163)

In der Schlusszusammenfassung stellte Jenna Jordan dann fest: „Leadership targeting has been an ineffective strategy against al-Qaeda.“ (S. 178)

Die Studie von Jordan arbeitet einen strategischen Fehler des Ansatzes der Counterinsurgency-Strategien sämtlicher USPräsidenten und der NATO seit 9/11 heraus. Jedoch bleibt festzustellen, dass insbesondere das US-Militär bereits 2007 vor dieser falschen politischen Strategie warnte. In der US-Dienstvorschrift Counterinsurgency Field Manual FM 3-24, die für die U.S. Army und das U.S. Marine Corps gilt, wird ausdrücklich (mit einem gewissen Spott gegenüber den führenden Politikern) betont: „Insurgencies do not normally lend themselves to generalizations like ´if this leader is removed, the insurgency is over` or ´this group drives the movement.` It is important not to oversimplify an insurgency.“1 Leider hat Jordan die anzuwendende militärische US-Dienstvorschrift nicht mit in ihre Analysen miteinbezogen.

Zahlreiche Tabellen und Übersichten, Endnoten, die Bibliografie und ein detailliertes Register erleichtern das Verständnis der Untersuchung enorm, die einen strategischen Beitrag zur Aufarbeitung der Ursachen des Scheiterns der Bundeswehr und der NATO in Afghanistan leistet.

Rezension: Dr. Hans Krech